Großer Erfolg im dritten Anlauf


Die Tupolev 134 ist zweifellos ein legendäres Flugzeug in der Geschichte der Luftfahrtindustrie der Sowjetunion. Sie war das Arbeitspferd der Aeroflot und wurde zum Exportschlager in den kommunistischen Bruderstaaten der UdSSR. Im Westen allerdings war sie vor allem aufgrund ihres hohen Treibstoffverbrauchs nicht wettbewerbsfähig.
Zwei TU-134B wurden als letzte ihrer Art 1989 an die nordkoreanische Choson Minhang geliefert. 1993 in Air Koryo umbenannt, stehen die beiden Jets angeblich noch heute im inner-nordkoreanischen Einsatz. Bild: Mark Tang_CC

Streng genommen beginnt die Geschichte der TU-134 schon Anfang der 1950er-Jahre mit der Entwicklung des ersten Düsenbombers der Sowjetunion, der TU-16 vom Konstruktionsbüro OKB Tupolev aus Moskau. Sie erlebte ihren Erstflug 1952. Auf Geheiß des Politbüros der Kommunistischen Partei der Sowjetunion noch unter Josef Stalin hatte Tupolev einen Jetliner zu entwickeln, der den Westen buchstäblich alt aussehen lassen sollte. Nachdem die Entwicklung der britischen De Havilland Comet aufgrund von Konstruktionsfehlern 1954 jäh unterbrochen wurde, sahen die Sowjets die Chance, aus der TU-16 relativ zügig einen zivilen Airliner entwickeln zu können. Um wenigstens je zwei Sitze rechts und links des Ganges unterbringen zu können, musste der Rumpf der TU-16 um 50 cm auf 3,40 Meter verbreitert werden. Das Grundkonzept jedoch blieb unverändert.

Ein stimmungsvolles Bild liefern hier drei TU-134 der post-sowjetisch, nunmehr russischen Aeroflot, deren modernes Design der Jahrtausendwende so gar nicht zum Alter der deutlich über 30 Jahre alten Jets passten. Auf Geheiß der russischen Regierung mussten alle TU-134 auch der Aeroflot bis 2012 ausgemustert werden. Bild: Alexandr Markin_CC

Als TU-104 tauchte die zweistrahlige Maschine 1956 erstmals im Westen am Flughafen London-Heathrow auf. Das war zu einem Zeitpunkt, als wenigstens die Briten mit der Bristol Britannia ein technisch höchst innovatives Flugzeug, aber „nur“ einen Turboprop, serienreif hatten – von den US- Herstellern ganz zu schweigen. Die Sowjets hatten für kurze Zeit tatsächlich die Nase vorn. Die TU-104 bekam 1960 eine kleinere Schwester namens TU-124, die neben aerodynamischen Verbesserungen erstmals Mantelstrom-Triebwerke bekam, die sogenannten Turbofans.

Die ostdeutsche Interflug operierte ab 1968 insgesamt 24 TU-134, darunter sechs der ersten Serie. Hier eines dieser Exemplare mit der Reg. DM-SCZ, 1981 aufgrund der prestigeversessenen politischen Führung in DDR-SCZ umregistriert. Aus politischen Gründen immer quasi mit gezogener Handbremse operierend, wurde Interflug unmittelbar nach der deutschen Vereinigung von 1990 liquidiert. Bild: RuthAS_CC

Sowjetischer Gegenentwurf zur Caravelle

Doch die Verkaufszahlen blieben eher kümmerlich, weshalb ein anderes Ereignis wichtig wurde. Im selben Jahr nämlich unternahm der damalige Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow einen Staatsbesuch nach Frankreich und besuchte bei dieser Gelegenheit den dort stattfindenden Aérosalon in Le Bourget. Er war von der dort präsentierten Sud Aviation „Caravelle“ derart begeistert, dass er die sofortige Entwicklung eines sowjetischen Gegenentwurfs anordnete. Kern der Begeisterung waren die im Heck der Caravelle angebrachten Triebwerke, die für unerreicht lärmarmen und allgemein ruhigen Flug sorgten. Der Auftrag ging erneut an das Experimental-Konstruktionsbüro OKB Tupolew, und dort entwickelte man mit den Erkenntnissen der TU-104 und TU-124 im Rücken einen Jet mit den modern gewordenen zwei Triebwerken am Heck, wie man sie nach der Caravelle vor allem am Beispiel der 1965 präsentierten Douglas DC-9 erleben konnte.

Bei der faktisch paramilitärischen Sowjet-Aeroflot war nichts so wie es schien. Trotzdem galt sie seinerzeit als größte Fluglinie der Erde, und so war sie mit weit über 300 Exemplaren auch die mit Abstand größte Betreiberin der TU-134. Hier eine modernisierte TU-134B um 1992. Aeroflot hielt die TU-134 40 Jahre im Einsatz. Bild: Konstantin v. Wedelstaedt

Es ging tatsächlich schnell; schon im Juli 1963 fand der Erstflug der TU-134 statt. Entstanden war auf der Basis der TU-124 ein Jetliner für bis zu 80 Passagiere, zunächst TU-124A genannt. Aufgrund etlicher, aufgrund der Verlagerung der Triebwerke nach hinten entstandener Korrekturen, gab es die neue Bezeichnung TU-134, deren Serienproduktion 1964 begann und 20 Jahre später nach 853 gebauten Exemplaren endete. Natürlich war es Aeroflot, die 1967 die TU-134 mit einem Flug von Moskau nach Sotschi erstmals in Dienst stellte, doch bis 1984 das letzte Exemplar bei der nordkoreanischen Air Koryo ihren Dienst antrat, wurde die TU-134 bei praktisch allen Fluglinien des sowjetisch dominierten Wirtschaftsraums Comecon eingesetzt, so auch bei der Interflug, der „Gesellschaft für internationalen Flugverkehr mbH der Deutschen Demokratischen Republik“. Noch 1984 betrieb die Fluggesellschaft der DDR 23 Exemplare und war damit eine der größten Betreibergesellschaften des Twinjets außerhalb der UdSSR.

Ein Grund, warum die TU-134 ausserhalb des Comecon-Wirtschaftssystems niemals eine Chance gehabt hätte, war ihr schmaler Rumpf, der nur eine 2-2 – Bestuhlung zugelassen hatte. Die westlichen Caravelle und DC-9 boten 2-3, die Boeing 737 gar 3-3 bei vergleichbaren oder besseren Leistungen. Auch sonst bot die Inneneinrichtung wenig Anlass zu Frohsinn. Bild: Alexandr Markin_CC
Der Innenraum dieser TU-134 der Aeroflot zeigt einerseits die rudimentäre Ausstattung der Kabine, andererseits immerhin eine mit sogar einem Tisch versehene Arbeitsecke für vier Passagiere. Bild: Daniela Kloth_GNU

Erfolgreich in der sozialistischen Planwirtschaft, aber chancenlos in der Marktwirtschaft des Westens

Die TU-134 wurde von 1966 bis 1989 in verschiedenen Versionen hergestellt, von denen die TU-134A die erfolgreichste war. Mit zwei Turbofans des Typs Soloviev D-30 mit jeweils 66,7 kN Schub am Heck versehen, erreichte sie eine Reisegeschwindigkeit von 800 km/h und eine Reichweite von typisch 3.200 Kilometern. Trotz des attraktiven Kaufpreises hatte sie im betriebswirtschaftlich orientierten Westen aber nicht den Hauch einer Chance. Ihr schmaler Rumpf fasste im Vergleich zu westlichen Modellen wie der Douglas DC-9, der BAC 1-11 und später der Boeing 737 deutlich weniger Passagiere, und die aufgrund rudimentärer Navigationstechnik in der UdSSR typische Glasnase schaffte wenig Vertrauen in deren Betreiber. Daran konnte auch die spätere Version TU-134B mit Radarnase anstelle der Glaskanzel im Bug nichts ändern, denn auch diese Version hatte gegenüber den inzwischen modernisierten DC-9-80 und erst recht der Boeing 737-300 endgültig keine Chance mehr. So endete die Produktion 1989, und letzte Exemplare außerhalb Nordkoreas sollen bis 2019 nur noch bei den russischen UTair und Alrosa Airlines in kommerziellem Betrieb gewesen sein.

Navigatoren von Tupolew Jetlinern der 50er- bis 70er- Jahre hatten das Privileg eines Arbeitsplatzes mit unübertrefflicher Aussicht. Grund dafür war allerdings die ebenso unübertroffen schlechte Infrastruktur des zivilen sowjet-russischen Luftverkehrs, die solche prähistorischen Navigationshilfen notwendig machte. Bild: Alexander Mischin_CC
Typisch für Sowjet-Konstruktionen waren die in grüner Farbe gehaltenen Cockpits, so auch bei dieser TU-134B. Sie hatte auch in den 1980ern noch den typischen „Uhrenladen“, während westliche Jets wie MD-80 oder Boeing 737-300 bereits zunehmend mit Glas-Bildschirmen ausgerüstet waren. Bild: Vitaly Kuzmin_CC

Bei allen Vorbehalten gegenüber sowjetischen Entwürfen der 1960er- bis 80er-Jahre muss fairerweise gesagt werden, dass es sich bei sämtlichen Konstruktionen um grundsolide Entwürfe handelte, die prinzipiell gegenüber ihren westlichen Gegenentwürfen nicht automatisch schlechter waren. Sie hatten nur einen typisch sowjet-russischen Nachteil, nämlich den des zu hohen Gewichts und folglich der zu hohen Verbrauchswerte und der zu niedrigen Nutzlast. Das waren im Wesentlichen die Gründe, weshalb neben politischen Vorbehalten die Wirtschaftsdaten auch der TU-134 nicht stimmten, weshalb so gut wie kein Flugzeug sowjetischer Produktion im wirtschaftlich orientierten Luftverkehr bestehen konnte. Gleiches betraf auch die späteren TU-154 und TU-204, von der noch im Entwicklungsstadium gescheiterten TU-334 gar nicht zu sprechen. Die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine werden die zivile russische Luftfahrtindustrie international wohl zunehmend isolieren, und das ist vor allem hinsichtlich der hoch qualifizierten Konstruktionsbüros wie eben auch Tupolev ein schwerwiegender Verlust.

Ab 1971 führte die tschechoslowakische CSA 14 TU-134A ein, die bis 1997 im Einsatz blieben. „OKJet“ wurden sie in Anlehnung an die Landeskennung OK benannt, für ein sozialistisches Land ein unerhörter Werbegag. Die traditionsreiche CSA ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst: Die Flotte umfasst nur noch zwei Flugzeuge. Bild: Steve Fitzgerald_GNU

Die TU-134 ist eine prominente Vertreterin der zweiten Generation kommerzieller Jetliner und mittlerweile so gut wie ausgestorben. Sie ist gekennzeichnet durch den Durchbruch von Düsenflugzeugen selbst auf Kurz- und Mittelstrecken. An der dritten Generation, wie zum Beispiel den weiter entwickelten Boeing 737 und neuen Airbus A320, gingen die sowjetischen Entwürfe mangels technischer Kompetenz komplett vorbei, und auch die nächste Generation moderner Jetliner wird von russischen Mustern nicht namhaft geprägt werden. Tupolev und die TU-134 bleiben damit ein leider nur noch wichtiger Erinnerungsposten im Gedächtnis all jener, die die große Zeit der Entstehung des Luftverkehrs als maßgeblichen Verkehrsträger seit den 1960er-Jahren miterlebt haben.

Sie sollte Nachfolgerin der TU-134 mit moderner Avionik, verbrauchs- und lärmarmen Triebwerken und überhaupt besseren Eigenschaften werden. Sie erlebte ihren Erstflug 1999, doch nachdem die beiden Prototypen 10 Jahre später noch immer nicht serienreif waren, wurde das Projekt eingestellt. Bild: Rulexip_CC
Text: Fritz Gratenau