Neue Maßstäbe im Flugzeugmodellbau
Im Kontext der 75-jährigen Geschichte von Herpa ist die Produktsparte „Wings“ noch relativ jung. 1993, also vor exakt 31 Jahren, werden die ersten Flugzeugmodelle im Maßstab 1:500 über den Fachhandel angeboten. Inspiriert von der Idee, den Herpa-Modellen Flügel wachsen zu lassen, ist der damalige Inhaber und Geschäftsführer Claus Wagener aber schon ein paar Jahre zuvor. Ende der 1980er Jahre gibt schließlich die deutsche Lufthansa mit einer Anfrage den Impuls zum „Take off“ der Flugzeugmodelle. Damit wird Herpa auf der ganzen Welt bekannt.
Vor allem die exakte Bedruckung selbst kleinster Ecken und Rundungen mit dem hochwertigen Tampondruckverfahren hat das fränkische Unternehmen im Segment der Modellfahrzeuge im Maßstab 1:87 in den 1980er Jahren an die Marktspitze gebracht. Claus Wagener, einer der beiden damaligen Geschäftsführer und Inhaber des Unternehmens, ist Flugzeugenthusiast und spielt schon länger mit dem Gedanken, den Schritt von der Dioramenstraße aufs Miniaturrollfeld zu wagen. „1986 kam mir die Idee, dass wir außer Autos auch noch etwas anderes machen können“, erinnert sich der Diplomingenieur. „Ich wusste, dass wir mit unseren technischen Voraussetzungen ohne Weiteres eine innovative hochwertige Bedruckung auch bei Flugzeugmodellen realisieren können.“
Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Zum einen hat sich Herpa in der Branche mit seinen Automodellen bereits einen guten Namen erarbeitet, zum anderen gibt es auf dem Markt für Flugzeugmodelle nur wenige Anbieter, die zudem auch qualitativ noch Wünsche offen lassen. Bleibt die Frage nach einem geeigneten Maßstab, der platzsparend, aber auch preislich den Sammlerbedürfnissen entspricht. Ein Hersteller, ebenfalls aus der fränkischen Region, bietet bereits Flugzeugmodelle im Maßstab 1:600 an. Da sie aber mit Abziehfolien beklebt und nicht bedruckt sind, sieht Claus Wagener mit dem Know-how und den Qualitätsstandards von Herpa hier ein großes Marktpotential. „1:500 ist ein schöner Maßstab, der noch von keinem Wettbewerber realisiert wurde“, erinnert er sich. So nimmt die Idee zu den Herpa-Wings allmählich Formen an.
In den 1990er Jahren gab es für die Premium Modelle sogar eigene Prospekte mit zahlreichen Hintergrundinformationen.
Exklusiv-Auftrag der Lufthansa
1987 präsentiert Claus Wagener anlässlich der Flugzeugtaufe einer Lufthansa-Boeing 737-300 auf dem Nürnberger Flughafen vier erste Muster im Maßstab 1:500. Es sind Kunststoffmodelle der Boeing 747-200, bedruckt in den Farben der Lufthansa, Virgin Atlantic, World Airways und Sabena.
Eines der allerersten Muster der 737-400 von Sabena, mit denen Claus Wagener sich bei der Lufthansa vorstellte. Es sollte als Kunststoffmodell in Dietenhofen gefertigt werden.
Lufthansa ist seinerzeit auf der Suche nach einem Hersteller für hochwertige Modelle von Flugzeugen ihrer Flotte. Diesem Anspruch können die beklebten Modellen mit Nassschiebefolien des erwähnten Wettbewerbers nicht genügen. Demgegenüber überzeugen Farbgenauigkeit und Detailtreue der präsentierten Modelle von Herpa auf Anhieb. Die deutsche Airline beauftragt Herpa daraufhin mit der Produktion ihrer „Lufthansa Modell-Edition“ im Maßstab 1:200. Nicht nur deren aufwändige und detaillierte Bedruckung begeistert, sondern auch die hochwertige technische Ausstattung, etwa mit maßstabsgerechten rollfähigen und gefederten Fahrwerken sowie beweglichen Triebwerksschaufeln. Noch heute gelten diese exklusiv für Lufthansa gefertigten Modelle zu den anspruchsvollsten, die im Flugzeugmodellbau produziert werden. Nach dem Start mit der Boeing 737-300 wird die Edition durch weitere Flugzeugtypen aus der damaligen Flotte ergänzt sowie um eine historische Ju-52 im Maßstab 1:160 erweitert. Ein völlig neuer Qualitätsstandard im Flugzeugmodellbau entsteht.
Das erste Herpa-Modell – die 737-300 der Lufthansa. Die Vitrinenverpackung ist als Hangar gestaltet, den Boden zieren Streifen mit den jeweiligen Parkpositionen.
Perfektion für die Sammlervitrine
Schon bald werden Fachhandel und auch andere Fluggesellschaften auf die Modelle aufmerksam. Auf dem Plan von Claus Wagener steht nach wie vor die Konzeption von hochwertigen Sammlermodellreihen im Maßstab 1:500 zum kleineren Preis. „Wir merkten schnell, dass der Markt nach schweren Modellen aus Metall verlangt, und so haben wir bald auf Zinkdruckguss umgestellt“, erinnert sich Wagener. Da dieser allerdings auch sehr viel Handarbeit erfordert, erarbeitet er mit einem befreundeten Partnerunternehmen in Fernost ein Konzept, das das aufwändige und teure Herstellungsverfahren der Flugzeugmodelle zu Kosten ermöglicht, die auch dem heimischen Wettbewerb standhalten können.
Die erste Lufthansa-Kollektion.
1990 ist es dann soweit: Die Partnerfirma erhält ihren ersten Auftrag für die Fertigung von Metallminiaturen im Maßstab 1:500. Produktplanung, -vorbereitung und Qualitätssicherung bleiben in Dietenhofen. Gestartet wird mit einer Boeing 737-300 in den Farben der Lufthansa. Noch zwei Jahre dauert es, bis Herpa seine Wings auf der Nürnberger Spielwarenmesse erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Fachwelt und Sammler sind von der Präzision der Modelle in den Farben verschiedener Airlines begeistert. Viele Fluggesellschaften beauftragen Herpa in der Folge mit der Herstellung von Modellen aus ihrer Flotte, die dadurch in sehr viel größerer Stückzahl gebaut werden können, als die der Wettbewerber. Um die Produktsparte der Flugzeugmodelle weiter auszubauen, gründet Herpa 1993 ein eigenes Produktmanagement für dieses Segment – die Abteilung und der Produktname „Herpa Wings“ entstehen.
Mehr Farben am Flugzeughimmel
Die anfängliche Sorge, dass die Bandbreite interessanter Flugzeuge als Vorlage für reizvolle Modelle schnell erschöpft sein könnte, erweist sich als völlig unbegründet. Ab Mitte der 1990er Jahre setzt sich bei den Fluggesellschaften immer stärker der Trend durch, sich mit außergewöhnlichen Bemalungen und Abweichungen von ihrer Standard-Livery bekannt und beliebt zu machen. Herpa erhält 1996 unter anderem die Genehmigungen für die Produktion von Modellen so außergewöhnlicher Flugzeuge, wie der Concorde der Air France mit einer Werbebemalung von Pepsi Cola, für den legendären „Rizzi Bird“ zum vierzigjährigen Jubiläum der Condor oder für die Boeing 737-300 der Western Pacific Airlines mit den Comicfiguren „The Simpsons“. 1997 präsentiert British Airways ihre „World Images“ mit 35 unterschiedlichen Bemalungsvarianten ihrer damals 250 Flugzeuge zählenden Flotte. Herpa erhält auch dafür die Lizenz zum Modellbau. Zahlreiche Kunstwerke folgen, wie zum Beispiel die der Qantas mit Motiven der australischen Aborigines, die Modelle der Air New Zealand mit Bildern aus der Filmtriologie „Der Herr der Ringe“ oder aber sehr viel später die außergewöhnlichen Motive isländischer Naturschauspiele auf den Flugzeugen der Icelandair.
Den Qantas-Jumbo zieren Motive der australischen Aborigines – einer der aufwändigsten Drucke bei Herpa, unter anderem da es keine exakten Lackierpläne gibt. Mit den Simpsons verkauft sich das Modell der 737-300 von Western Pacific sagenhafte 33.758 Mal.
All das sind wunderbare Vorlagen und ein schier nicht enden wollender Fundus für die Sammlervitrine, die sich dank der weiter entwickelten Produktionstechnik immer detailreicher und filigraner umsetzen lassen.So sind in 30 Jahren Herpa Wings über 4.000 Flugzeugmodelle in verschiedenen Maßstäben von über 650 Fluggesellschaften und weit mehr als 100 verschiedenen Flugzeugtypen erschienen. Seit 1996 ergänzt auch Zubehör für Flughafendioramen kontinuierlich das Angebot, mit dem sich die Modelle authentisch in Szene setzen lassen.
Kooperation mit Airline und Flugzeughersteller
Seit 2006 ist Stephan Külgen Produktmanager von Herpa Wings. Die meisten Modellideen sammelt er im Kontakt mit Sammlern, Händlern und durch eigene Recherche, etwa bei den aktuellen News der Luftfahrtbranche. Häufig kommen aber auch die Fluggesellschaften auf Herpa zu, um die eigene Flotte im Modell darzustellen. Andere Fluggesellschaften haben wiederum kein Interesse. „Bei einigen beißen wir uns schon seit Jahren die Zähne aus“, sagt Külgen schmunzelnd. Sie erkennen den Mehrwert und eine kostenlose Werbung durch Modelle nicht. Ohne Genehmigung und enge Kooperation mit den Fluggesellschaften und Flugzeug-Herstellern läuft bei Herpa nichts. Zum einen ist Herpa rechtlich dazu verpflichtet, zum anderen lässt sich auch nur so der hohe Qualitätsanspruch an die Modelle umsetzen.
Ist sich Stephan Külgen mit einer Gesellschaft einig, geht es an die Lizenzverträge. Einen sechsstelligen Betrag gibt das Unternehmen jedes Jahr für Lizenzen aus – und das allein im Bereich Wings. Die Bandbreite reicht von einem zweizeiligen Genehmigungsschreiben bis zu Lizenzverträgen, die weit über 40 Seiten umfassen können. Es werden immer zwei Genehmigungen fällig: einer mit der Fluggesellschaft und einer mit dem Flugzeughersteller. Im Fall des BVB-Fan-Airbus von Eurowings sind es sogar vier, denn auch mit dem Fußballverein und den Künstlern von Hands of God, die das Design entwickelt haben, gibt es entsprechende Verträge. Auch wenn eine Gesellschaft nicht mehr fliegt, heißt es nicht automatisch, dass es keinen Rechteinhaber mehr gibt.
Ein Flugzeug – vier Lizenzen: Der BVB-Flieger von Herpa im Maßstab 1:2006>
Sammler auf der ganzen Welt
Beim Modellangebot geht es immer darum, alle großen Gesellschaften abzudecken sowie interessante Flugzeugtypen und außergewöhnliche Lackierungen zu zeigen. Je nachdem, wie schnell Herpa alle wichtigen Informationen und Unterlagen bekommt, ist das Modell dann innerhalb von zehn Monaten im Handel – manchmal kann es aber auch Jahre dauern. Rund 200 Neuheiten erscheinen jedes Jahr. In der letzten Zeit erfreuen sich die kostengünstigeren Snapfit-Modelle einer immer größeren Beliebtheit. Für viele sind sie der Einstieg in die Sammelleidenschaft.
Sind die Modelle im Maßstab 1:500 anfangs eher Souvenirs, etwa als Mitbringsel oder Erinnerung an eine Reise mit genau diesem Flugzeug, hat sich dieser Maßstab durch die Detailtreue und sammlerfreundliche Größe spätestens seit der Jahrtausendwende zum klassischen Herpa-Maßstab entwickelt. Hier gibt es die meisten Modelle, und im Gegenzug gibt es dafür fast keine weiteren Marktanbieter. Gesammelt wird oft nach bestimmten Themen, etwa nach Fluggesellschaften, Ländern oder aber nach Sparten wie Frachtflugzeugen oder Modellen aus der zivilen beziehungsweise militärischen Luftfahrt. Die Wings-Modelle werden weltweit verkauft, hier gibt es zum Teil große geografische Unterschiede bei den Präferenzen der Sammler. „Die Australier mögen es lieber groß und schwer, hier ist der Maßstab 1:200 beliebt. Die Japaner ziehen das Filigrane vor, ihnen ist wichtig, dass selbst kleinste Details aufgedruckt werden“, erklärt Stephan Külgen. „Die US-Amerikaner sammeln bevorzugt Modelle aus dem eigenen Land, während die Europäer eigentlich alles sammeln, vielleicht auch gerade wegen der Exotik.“
Die Boeing 747-400 der Japan Airline mit Micky-Maus-Motiven.
Modell-Highlights und Bestseller
Das mit Abstand meistverkaufte Flugzeugmodell ist der Lufthansa A380 in 1:500. In verschiedenen Auflagen verkauft er sich nicht weniger als 94.000 Mal – viele von ihnen im Lufthansa-Bordverkauf oder Miles&More-Programm. Das bestverkaufte Handelsmodell ist die Boeing 737-300 der Western Pacific mit der Simpsons-Bemalung. 33.758 Modelle gehen weltweit über die Ladentheken. Zum Vergleich: Die üblichen Auflagen liegen zwischen 500 und 3.000 Exemplaren. Ein herausragendes Projekt sind auch die genannten Flugzeuge der Air New Zealand mit der Bemalung aus Motiven der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“ – nicht nur wegen der über 100 detaillierten Drucke des Modells. „Da hatten wir auch einmal die Möglichkeit, mit einigen Schauspielern zu sprechen“, erinnert sich Külgen. „Heute können wir die Modelle leider nicht mehr produzieren, da uns die derzeitige Filmgesellschaft für ‚putzig‘ hält. Sie wollen langfristige Lizenzverträge mit maximalem Gewinn für einen Massenmarkt, und da fallen wir einfach heraus.“
Die aufwändigsten Drucke aller Zeit: Motive aus der Filmtrilogie „Herr der Ringe“. So aufwändige Modelle wird es wohl nicht mehr geben. Ein gut gehütetes Modell im Herpa-Archiv trägt die Originalautogramme einiger Schauspieler.
Interessant ist auch das Kaufverhalten der Kunden. „Nachdem die Antonov AN 225 im Jahr 2022 bei einem Angriff russischer Truppen auf dem ukrainischen Flughafen Hostomel zerstört wird, sind über Nacht 800 Bestellungen für das Modell bei uns eingegangen“, weiß Külgen. Ein Herpa-Flugzeug hat es sogar schon im Maßstab 1:1 gegeben. Der US-Amerikaner Dan Gryder stattet seine unter der Kennung N143D registrierte DC-3 mit den Farben und dem Schriftzug von Herpa aus, mit der sie 2010 auf der weltgrößten Airshow in Oshkosh, Wisconsin, einen Formationsflug von weiteren 37 DC-3 und C-47 zum 75-jährigen Jubiläum der DC-3 anführt. Logisch, dass das Flugzeug in dieser Bemalung auch als Herpa-Modell in den Maßstäben 1:500 und 1:200 erscheint.
Die DC-3 mit der Kennung N143D hat den Herpa-Schriftzug in zwei verschiedenen Varianten auch im Original getragen.
Im Gegensatz zu den vergänglichen Originalflugzeugen bleiben die Modelle in den Vitrinen und Herzen der Sammler natürlich länger erhalten und dokumentieren dadurch mittlerweile äußerst anschaulich mehr als ein ganzes Jahrhundert faszinierender Luftfahrtgeschichte, in dem der Mensch das Fliegen gelernt hat.