Aufstieg zum Welterfolg
Mit dem Übergang vom Propellerantrieb zum Düsentriebwerk entwickelte sich das Flugzeug in den 1960er Jahren vom luxuriösen Transport- zum Massenverkehrsmittel, mit dem eine Flugreise für Viele erschwinglich wurde. Die Boeing 727 leitete diese Wende mit ein. Im zweiten Teil unseres Portraits über den eleganten Dreistrahler berichten wir darüber, wie sich die 727 auch unter dem zunehmenden Druck von Konkurrenzmodellen erfolgreich bewähren konnte und auch heute noch vereinzelt im Frachtverkehr eingesetzt wird.
Für Boeing war die 727 ein absoluter Erfolg, doch schon früh zeichnete sich eben ab, dass der eindrucksvolle Trijet ein Problem bekommen würde. Erzkonkurrent Douglas, seinerzeit mit der DC-8 noch weltweit führender Hersteller von Jetlinern, hatte 1964 im kalifornischen Long Beach die zweistrahlige DC-9 entwickelt. Zunächst noch deutlich kleiner, sollte sich die nur ein Jahr später lancierte gestreckte Serie -30 für 119 Passagiere als ernsthaftes, weil deutlich wirtschaftlicheres Konkurrenzmodell entwickeln. Während im Langstreckenbereich die 707 die DC-8 inzwischen überflügelt hatte, drohte sich im Kurz- und Mittelstreckensegment die umgekehrte Lage zu entwickeln. Boeing bekam auch Druck aus der Kundschaft, namentlich von United und Lufthansa, der DC-9 etwas entgegenzusetzen. Mit der 727-100 ging das nicht, hier musste ein komplett neues Modell her. Die Lösung war 1968 die zweistrahlige 737, die genau in den Markt der DC-9 zielte. Für die 727 hatte Boeing eine ganz andere Idee, indem man nämlich der aviatischen Hochkonjunktur der -60er folgte und die 727 massiv nach oben entwickelte.
Die robuste Konstruktion der 727 erlaubte es dabei, das Flugzeug um nicht weniger als deutliche 6,1 Meter zu verlängern, was eine Erhöhung der Kapazität um 58 auf maximal 189 Sitzplätze bedeutete. Darüber hinaus war die nunmehrige 727-200 in ihren Leistungen der -100 nur angepasst, allerdings zu bereits deutlich niedrigeren Sitzplatzkosten. In den USA waren es neben Northeast zunächst die üblichen „Trunks“ wie United, American oder Eastern, die die -200 bestellten. In Europa allerdings gewann Boeing mit Air France zunächst nur einen neuen Kunden.
1968 führte Air France als erste in Europa die 727-200 ein und hielt bis zu 29 Exemplare -228 und -228Adv. bis 1992 im Einsatz.
Photo: Pedro Aragao_CC
Die Verlängerung zur -200 war an sich schon eine gute Idee, doch die Kundschaft war nicht zufrieden. Problem waren die Leistungen der -200, namentlich Zuladung und Reichweite. Sie lagen immer noch bei unbefriedigenden 2.000 Kilometern mit voller Zuladung. Außerdem konnten die Steigleistungen der -100 nicht annähernd erreicht werden, was die -200 in Südamerika chancenlos machte. In Mexiko allerdings hatte der wichtigste Kunde, die Fluggesellschaft Mexicana, eine bemerkenswerte Lösung entwickelt: Mit vier Startraketen konnten deren 727-200 bei großer Hitze auch ab hoch gelegener Airports in Mexiko starten. Doch diese Lösung war allgemein unbefriedigend, und so sah Boeing sich veranlasst, eine operativ bessere Lösung zu finden. Sie hieß „Advanced“, oder schlicht -B, und wurde erstmals 1973 von Lufthansa lanciert.
Im Frühjahr 1973 führte Lufthansa die weltweit erste 727-200B „Advanced“ mit deutlich verbesserten Flugleistungen ein. Mit der D-ABKI „Bremerhaven“ wurde gleichzeitig der 200. Boeing Jet übernommen.
Photo: Lufthansa
Starthilfe durch die Ölkrise
Die „Advanced“ hielt etliche Verbesserungen für die Kundschaft bereit. Neue, deutlich stärkere Triebwerke der Serie PW JT8D-15 mit nunmehr 69 kN Schub, größeren Tanks, einer neuen Innenausstattung im „Wide Body Look“ sowie etlichen Detailverbesserungen summierten sich zum Vorstoß in eine neue Leistungsklasse, deren Bedeutung sich eher zufällig wirklich manifestierte. Das Jahr 1973 nämlich steht für den Ausbruch der ersten sogenannten Ölkrise, hervorgerufen durch ein neues Preiskartell namens OPEC, mit dem sich deren Mitglieder endgültig aus dem Diktat der Verbraucherländer, namentlich aus den USA, Westeuropa und Ostasien befreiten. Extreme Preiserhöhungen für Ölprodukte waren die Folge, die im Luftverkehr die erste Generation von Düsenflugzeugen der 50er-Jahre praktisch von einem Tag zum anderen vom Markt fegte. Das betraf vor allem die frühen Serien der Boeing 707, die Douglas DC-8 sowie die Convair 880/990. Einzige Alternative war die 727-200 Advanced, und prompt schossen deren Verkaufszahlen nach oben.
Ab 1972 setzte die spanische Iberia 37 Boeing 727-256B ein und wurde damit einer der wichtigsten Betreiber in Europa. Erst 2002 musterte die Airline ihre letzte 727 nach 30 Jahren aus.
Photo: Iberia
Auch jenseits der klassischen Kundschaft konnte sich Boeing über Aufträge aus bisher chancenlosen Kreisen freuen. So waren es in Europa besonders die klassischen Douglas-Kunden wie Iberia oder Alitalia, auch Air Canada und endlich Pan Am in Nordamerika, die maßgeblich am weiteren Erfolg der 727 beteiligt waren. Schließlich entdeckte Boeing auch den wachsenden Expressfracht-Markt und begann, die großen sogenannten „Integrator“ zu umwerben, vor allem, nachdem beginnend der 80er Jahre das Interesse der bisherigen Kundschaft zu erlahmen begann. Die Akquisiteure hatten Erfolg, als erste und allerdings auch einzige Airline biss Federal Express, kurz FedEx, an und bestellte 15 Exemplare der -200F. Respektable 24 Tonnen Nutzlast konnte die -200F befördern, doch selbst die neuen JT8D-15 Turbofans waren zu laut und die notwendige Drei-Mann Cockpitcrew zu teuer. Daneben war der Stückpreis auf mittlerweile 34 Mio. US-Dollar gestiegen.
Der US-Integrator Federal Express bestellte als einzige die 727-200F ab Werk. Mit der 15. und letzten Maschine endete am 18. September 1984 nach 1.832 Exemplaren die Produktion der 727.
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Einsatz über drei Jahrzehnte
Doch die Fans, zu denen häufig sogar die angeblich so kühl kalkulierenden Manager vieler Airlines zählten, gaben nicht auf. Die großen Betreiber hielten die 727 noch bis weit in die 90er im Dienst. Die letzte Passagier-727 wurde erst 2019 exmatrikuliert, letzte Frachter sind sogar bis heute im Dienst. Das geht nur mit massiven technischen Umbauten. So operierte der Integrator UPS seine zahlreichen, aus Beständen von United übernommenen 727-22QC „Quiet Freighter“ mit modernen Rolls-Royce „Tay“ Turbofans. Auch für die -200 wurden alternative Triebwerke angeboten, weil die Musterzulassung Ende der 90er Jahre für die „Stage II“ Lärmklassifizierung ablief. Es entstand noch einmal eine sogenannte „Super 27“ der Firma Valsan mit deutlich verbesserten Allroundeigenschaften, aber es konnten nur noch 54 Umrüstsätze verkauft werden.
Die kolumbianische LAS Cargo aus Bogota betrieb bis 2021 drei Valsan Super 27 Frachter. Inzwischen hat der Zahn der Zeit selbst modernisierte 727 angeknabbert, so dass nur noch ganz vereinzelte Exemplare mit wenigen Flugstunden im Einsatz stehen.
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Geblieben ist die Erinnerung an ein Flugzeug, das „mit Herz und Hintern“ geflogen wurde, was natürlich pure Nostalgie ist, aber die große Liebe und das Vertrauen deutlich macht, die sowohl Besatzungen als auch Passagiere der 727 über 30 Jahre entgegengebracht haben. Wenn diese Leidenschaft bisweilen sogar bis in die Vorstandsetagen großer Fluglinien vorgedrungen ist, mag das die wahre Bedeutung zeigen. Boeing ist es nicht zum einzigen Mal gelungen, aus einer Ansammlung schnöder Materialien ein buchstäblich lebendiges Stück Technik zu machen.
Eng mit Boeing verbunden war die Flottenpolitik der Pan American, und so ist auch die 727 ein gehöriger Teil ihrer großartigen Geschichte, die 1991 so traurig zu Ende ging. Für Boeing gilt das nicht, auch wenn der Hersteller heute mit früher undenkbaren Problemen konfrontiert ist.
Photo: Ted Quakenbush_GNU
Herpa gibt dem berühmten „Three Howler“ von Boeing noch einmal die Ehre und wird 2024 etliche Varianten eines der besten Verkehrsflugzeuge aller Zeiten bringen. Mit der 727 ist es vielleicht ähnlich wie mit dem berühmten Volkswagen Käfer, dem Beetle. Alles, was danach kam, war technisch in jeder Beziehung besser. Nur eines fehlt allen Nachfolgern, nämlich der „Spirit“. Was immer das auch ist, die Boeing 727 hatte ihn auf jeden Fall.
Eine 727-200RE – die letzte ihrer Art, die heute im Dienst der britischen Oil Spil Response steht, die Umweltschäden durch Ölverlust großer Schiffe bekämpft. Das geschieht durch Versprühen chemischer Substanzen zum Beispiel über Ölteppichen
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Hergestellt wurden 571 Boeing 727-100 und 1.260 -200, also insgesamt 1.831 Exemplare. Was 1984 einen Absatzrekord bedeutete, nimmt sich angesichts der Verkaufszahlen moderner 737 oder Airbus A320 recht bescheiden aus. Doch die Marktbedingungen des späten 20. Jahrhunderts waren entschieden andere, und Luftverkehr hatte noch einen ganz anderen Stellenwert. Die Boeing 727 stand repräsentativ für eine Branche im Aufschwung – keineswegs verschont von Krisen, aber unbeirrbar auf dem Weg nach oben. Das gilt bis heute, obwohl der 727 nur noch ein ehrendes Andenken gewidmet werden kann.
Text: Fritz Gratenau
Titelbild: Ken Fielding_CC
Zahlen, Daten, Fakten
Hersteller: The Boeing Company, Seattle/Wa., USA
Typ: 727-0
Antrieb: 3 x PW JT8D-1
Leistung: 3 x 62 kN
Reisegeschwindigkeit: 930 km/h
Max. Startgewicht: 58.950 kg
Reichweite: 2.000 km mit max. Zuladung
Max. Kapazität: 131 Sitze / 22 Tons Cargo
Preis: US-$ 4,7 Mio. (1963)
Anzahl: 571